Thomas Wulffen

AGNES LÖRINCZ  STOFF MALEREI

 Der Begriff ‚Stoff’ ist  zweideutig, zum einen benennt er die Materialität, zum anderen aber auch den Inhalt. Im Zusammenhang mit dem Medium Malerei aber scheint diese Feststellung den Status zeitgenössischer Kunst besonders zu treffen. Das Werk von Agnes Lörincz kann als Versuch verstanden werden, der Malerei Gerechtigkeit wieder zukommen zu lassen. Die digitalen und elektronischen Medien überschütten den Betrachter mit immer neuen Ansichten, deren Bedeutung die Malerei mehr und mehr in den Hintergrund treten lässt. Das ist die eine Sicht.

Die andere Perspektive entdeckt eine Malerei, die sich selbstbewusst mit den vermeintlichen Konkurrenten auseinandersetzt. Paradigmatisch ist dafür die Darstellung eines Autos und dessen Fahrer, ein exemplarisches Bildnis für die künstlerische Vorgehensweise der Malerin. Als Betrachter sind wir uns nicht sicher und übersehen dabei, dass wir als Beobachter in der gleichen Position stehen wie die Figur im Gemälde. Wer ist hier an welcher Stelle Stoff, als Bildmaterial und als Geschichte? Auf diese Weise erhält die Darstellung einen ungewohnten Realitätsgehalt. Das Auto bleibt am Ende eine Gestalt als Gestaltung. Diese Dichotomie könnte das Werk von Agnes Lörincz beschreiben, zwischen Darstellung und Oberfläche.

Die Künstlerin aber kennt auch Bildtechniken, in der die Stofflichkeit in besonderer Weise zur Geltung kommt wie in der Arbeit ‚Modelle’, ein work in progress, das noch kein Ende gefunden hat. Es besteht aus 15 Einzelbildern, die Agnes Lörincz zusammengefügt hat. Hier wird die jeweilige Abbildung sowohl vom Hintergrund wie von den benachbarten Zeichnungen ‚kommentiert’. Das Dekor dient dabei als eine spezifische Markierung. So zeigte die Künstlerin in einer Ausstellung im ARD Hauptstadtstudio auch Porträts von Barack Obama und Vladimir Putin, deren Konterfeis geschmückt waren durch dekorative Zugaben. Dennoch erweist sich die Künstlerin auch als kompetente Malerin, die in Einzelarbeiten das Dekor beiseite legt, um die Figur oder eine Landschaft ‚pur’ zu zeigen. Der Stoff kann aber auch für sich selbst stehen oder als Projektionsfläche auftreten. Beispielhaft dafür ist eine Arbeit aus dem letzten Jahr mit dem Titel ‚Der Flug’, die in der Überlagerung verschiedener Motive Aufmerksamkeit erregt. Vier verschiedene Bildbestandteile kommen hier zusammen und bilden einen Bildkomplex. Jedes Element behauptet seine Eigenständigkeit und ist doch eingebunden in das Gesamtgefüge. Man könnte von vier unterschiedlichen Paradigmen sprechen, die sich überlagern und sich gegenseitig kommentieren.
Diese Überlagerungen sind dann eine Art Genese der jeweiligen Bilder. Es finden sich auch abstrakte Werke, die im Werk der Künstlerin einen spezifischen Stellenwert haben. Hier überlagert sich Stoff als Materialität, direkt auf die Leinwand gebracht, mit dem abstrakten Stoff als Inhalt. Für die Künstlerin bedeutet der aufgeklebte Stoff ein Stück ‚Realität’, eine Art Referenz auf das was draußen (in der Welt) vorhanden ist als ‚echtes’ Material.

In den Worten der Künstlerin: „Es ist noch nicht alles verschwunden oder verwischt worden. Man malt ja auch deswegen, dass man sieht, etwas bleibt genau so, wie man es gerade hingemalt oder hingeklebt hat. Es geht ja nicht darum etwas zu ‚verschönern’, sondern etwas aus der Geschichte (aus meiner Geschichte) herauszunehmen, zu zitieren oder zur Diskussion zu stellen.“

Gleichzeitig aber zeigt sich die Kopie als eine Kopie. Der Betrachter scheint etwas wieder zu erkennen, aber die Arbeitsweise der Künstlerin lässt sich auch in dieser Perspektive nicht festlegen: Wo ist das ‚private’ Bild und wo die öffentliche Ansicht?
Das Werk von Agnes Lörincz  zeichnet sich durch eine spezifische Materialität aus. Das liegt zum einem im Aufbau der Bilder, der viel Bildraum in Anspruch nimmt. Die Leinwand selbst wird Ingredienz des malerischen Aktes, indem der Grund als solcher gezeigt wird. Das wird besonders deutlich in dem Werk mit dem Titel ‚Der Schuss’ , eine Reminiszenz an die Anschläge der RAF. Mit dem Dekor am oberen Bildung wird der Betrachter direkt an die Abhandlung ‚Ornament und Verbrechen’ von Adolf Loos erinnert, Architekt und Pionier der Moderne. Indirekt stellen die Werke von Agnes Lörincz immer noch die Frage nach der Moderne und dem was danach kommt.
An dieser Stelle beginnt der Begriff ‚Stoff’ selbst in Auflösung zu geraten. Zum einen meint er das taktile Moment, zum anderen den Inhalt. Könnte der Inhalt nicht auch ein taktiles Momentum enthalten? Die Werke von Agnes Lörincz scheinen einen Weg dahin zu zeigen.

aus dem Katalog
Agnes Lörincz STOFF MALEREI 2009-2013

Thomas Wulffen
AGNES LÖRINCZ  MATERIAL PAINTING – english

The term ‘material’ is ambiguous. On the one hand it refers, for example, to cloth and physical materiality, on the other to abstract subject matter. This ambiguity is an especially apt term to apply to the medium of painting, especially contemporary painting.

The work of Agnes Lörincz can be understood as an attempt to regain the preeminence of painting as an artistic medium. Digital and electronic media shower the viewer with ostensibly new modes of experience whose meaning threatens to relegate painting to the artistic sidelines. This is one angle to approach ambiguity and the significance of Agnes Lörincz’ work.

An alternative perspective reveals a form of painting perfectly able to confidently confront alternative media apparently competing for artistic relevance. A case in point here is a picture of a car with its driver, a clear indication of the artist’s approach . As viewers we are not sure of our position relative to the figure in the painting. Who is who in this constellation: cloth, material, subject matter and story? The uncertainty among these relations is the source of the painting’s realism. The car remains simply a form in a composition. The dichotomy and tension between the pictorial surface in its physical form itself and its role as representation of figures outside its own world is key to grasping the work of Agnes Lörincz.

The artist, however, is no stranger to modes of painting where the physical qualities of the painting take center stage, for example in the series ‘Models’, a work in progress with no end in sight. Currently it consists of 15 individual paintings which Agnes Lörincz has arranged alongside each other. Here each picture’s cloth background as well as its adjacent paintings serve as pictorial commentary. The resulting décor, the physical context in which the work is presented, is a significant pictorial element of the work. And so in an exhibition at the main studios of the German TV station ARD, the artist offers portraits of Barack Obama and Vladimir Putin, whose features are decorated with ornamental flourishes. Furthermore, the artist reveals her skill at also laying aside ornament in certain paintings in order to present a figure or landscape in its ‘pure’ unadulterated manifestation.

The cloth used can stand for itself or it can serve as a projection screen capturing other images. A work titled ‘The Flight’ ,from last year is a good example of this, using overlapping material to highlight various motifs. Four diverse pictorial elements converge to create a unified complex. Each individual element asserts its own autonomy while still being tied up in the larger whole. One has the impression of four paradigms overlaying and commenting on each other.

Such overlap allows each picture to unfold before our eyes. There are also abstract works by the artist which merit specific mention here. With these, cloth applied directly to the canvas surface is physically overlapped and it overlays the conceptual material of the picture as well. For the artist, this cloth integrated into the work represents a piece of ‘reality’. In its physical material, it is a reference to the reality outside the painting in the world of the viewer.

In the artist’s own words: “Not everything has disappeared or been wiped away yet. An artist also paints to reveal that everything retains its true character exactly the way it was when it was painted in or glued in. It is not about ‘decorating’ but rather about taking something from history (my personal history) as a quotation or a subject open to discussion.”

At the same time, a copy is a copy. The viewer seems to recognize something, but it remains elusive due to the artist’s approach: Where do the ‘private’ and the ‘public’ image begin and end?

The work of Agnes Lörincz is unique in its certain material quality. This is partly due to the composition of the work which commands large swaths of the canvas surface. The canvas itself becomes a significant, recognizable element of the pictorial process to the extent that the underlying background also demands attention. This is especially evident in the painting titled ‘The Shot’  a reminiscence of the attacks of the notorious German terrorist group the RAF. The ornamental expanse at the top of the picture reminds us of the architect and modernist pioneer Adolf Loos’ treatise ‘Ornament and Crime’. The work of Agnes Lörincz constantly seems to involve a search for modernism and its successor, whatever that may be.

At this point, the term ‘material’ seems to dissolve. On the one hand, it refers to a certain tactile moment, while on the other hand, it points to conceptual subject matter. Is it possible, that the subject of the paintings is itself a tactile moment? The work of Agnes Lörincz indicates that this is in fact the case.

Thomas Wulffen

in catalog
Agnes Lörincz MATERIAL PAINTING 2009-2013

PETRA VON  OLSCHOWSKI

Das Spiel mit der Erinnerung – Notizen zu den Arbeiten von Ágnes Lörincz

Es gibt eine Textstelle in Marcel Prousts großem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, die jenen, die sie gelesen haben, nie mehr aus dem Sinn geht – so eindrücklich erfasst er darin einen Augenblick intensivsten Erlebens, intensivsten Sich-Erinnerns. Proust beschreibt einen inneren Prozess, der durch den Geschmack einer Tasse Tee verbunden mit einem kleinen Stück des französischen Gebäcks Madeleine, ausgelöst wird. Es heißt – gekürzt: „In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt.“ Es dauert einen Moment, dann ist „mit einem Mal“ die Erinnerung da. „Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks einer Madeleine, das mir am Sonntagmorgen in Combray (…), sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine  Tante Leonie anbot, nachdem sie es in ihren schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte.“ Proust folgert daraus: „Doch wenn von einer weit zurückliegenden Vergangenheit nichts mehr existiert, nach dem Tod der Menschen und dem Untergang der Dinge, dann verharren als einzige, zarter, aber dauerhafter, substanzloser, beständiger und treuer der Geruch und der Geschmack, um sich wie Seelen noch lange zu erinnern, um zu warten, zu hoffen (…)“

Wahrscheinlich kennt fast jeder dieses Gefühl, das Proust beschreibt. Es gibt Gerüche oder bestimmte Geschmacksnuancen, auf die reagieren wir direkt, weil sie bestimmte Erinnerungen oder Ahnungen wie auf Knopfdruck auslösen. Vermutlich hat Proust auch damit recht, dass kaum ein anderes Sinnesorgan – also weder Hören noch Sehen noch Tasten – eine so unvermittelte Zeitreise in die Vergangenheit ermöglichen. Und doch gibt es auch in diesem Bereich Assoziationen, die spontan Atmosphärisches früherer Zeiten hervorrufen.

Mit solchen Anspielungen arbeitet die in Neckarsulm lebende Künstlerin Ágnes Lörincz. Das gilt für frühere, aber auch für ihre ganz aktuellen Bilder. Und es liegt unter anderem in jener Technik begründet, die die Malerin und Zeichnerin bevorzugt: in der Collage. Denn eine der verschiedenen  Ebene, die in vielen ihrer Kompositionen auftaucht, ist meistens geprägt von Mustern und Dekor aus früheren Zeiten. Dabei handelt es sich zum Teil um collagierte Stoffstücke oder ornamental gestaltete Flächen, die sie in ihre Arbeiten klebt und überarbeitet. Es sind Muster, die wir fast alle kennen, weil sie in gewissen Jahrzehnten stilbildend und absolut modern waren, weil sie Kleidung ebenso zierten wie Tapeten, Möbel oder Gebrauchsgegenstände.

Ágnes Lörincz  transportiert den Betrachter durch diese Zitate, die zunächst fast belanglos wirken, sofort in eine bestimmte Zeit, in ein bestimmtes gestalterisches Umfeld, in eine modische oder kulturelle Epoche – man denke an die 70er-Jahre-Muster zum Beispiel oder die maurischen Ornamente, die an verschiedenen Stellen auftauchen. Und automatisch gleicht der Betrachter diese Assoziationen oder die damit verbundenen persönlichen Erinnerungen mit jenem Bild ab, das Ágnes Lörincz dem Muster an die Seite stellt und durch das sie ein Spannungsfeld eröffnet. Meist handelt es sich bei Ágnes Lörinczs Arbeiten um Frauenbilder, um Figuren aus Modezeitschriften oder aus der Reklamewelt, man kann fast sagen Figurinen, denn die Figur wird als deutliches Zitat eingesetzt, als eine Art Schablone, mit der die Künstlerin spielt, die aber durch keinerlei Individualität, Persönlichkeit oder Emotionalität ausgezeichnet ist. Typen, Gesten, Modelle können daher manchmal bekannt vorkommen – eben auf diese Austauschbarkeit, die im idealisierten körperlichen Bild liegen kann, verweist Ágnes Lörincz.

Ágnes Lörincz wurde in Rumänien geboren, hat in Klausenburg studiert, später in Deutschland zahlreiche Stipendien erhalten, unter anderem das der Kunststiftung Baden-Württemberg sowie das Stipendium Cité International des Arts, Paris. Auch wenn das kulturelle Umfeld für ihre Arbeit sich jeweils änderte, ihre Handschrift ist die gleiche geblieben. Denn auch wenn das Zitieren und Collagieren eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen spielt, als weitere Ebene kommt immer die Malerei selbst ins Spiel. Das Verhältnis zwischen bemalter Fläche und unbemaltem Grund gewinnt besonders bei den Arbeiten auf Holz an Bedeutung, weil die helle Maserung des Holzes der Hautstruktur der Figuren ähnlich wird und sich die Körperlichkeit fast ganz auflöst in diesem scheinbar neutralen Hintergrund. Auch bei den großformatigen Malereien geht die Künstlerin in der Regel von einem Foto aus, das sie inspiriert. Das kann eine Frau vor Landschaft sein, die schließlich zur „Madonna“ wird, eingebunden in blaue Blumenmuster, wie man sie zum Beispiel aus der niederländischen Keramik kennt. Das kann der aufreizende Ausschnitt einer Rückenpartie im Badeanzug sein, die verführerisch perfekt wirkt, wäre da nicht die zur Faust geballte Hand. Immer wieder findet man diese Gegensätze in den Bildern. Ágnes Lörincz sagt, es gehe ihr beim Arbeiten immer auch darum, als Künstlerin selbst überrascht zu werden, nicht zu wiederholen, was sie schon kenne. Dass dabei immer Gefundenes nicht Erfundenes Ausgangspunkt für den bildnerischen Prozess ist, ist ein typisches Kennzeichen der ihr eigenen Art, sich Welt über Kunst anzueignen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Petra von Olschowski

aus dem Katalog
Agnes Lörincz  Blick-Kontakt, 2008

MARTIN STATHER

BLICK – KONTAKT – Zu den Arbeiten von Agnes Lörincz

Germanys next Topmodel begegnet uns täglich auf der Strasse – jeder und jede könnte es sein, wenn nur Ehrgeiz, Aussehen und Talent etwas vermögen. Zumindest will uns Heidi Klum diese Botschaft mit Hilfe von RTL verkaufen. Und so werden die Kandidatinnen Stück für Stück auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt bis die zuletzt übrig Gebliebene dem Bild entspricht, das sich die Werbemedien erhoffen. Aschenputtel wird heute nicht mehr beim Ball vom Prinzen sondern vor den Augen der TV-Öffentlichkeit zur Königin erkoren. Die Schuhgröße ist dabei eher Nebensache.

Agnes Lörincz verwendet für ihre Arbeiten gerne Modelle aus Modezeitschriften, die gewissermaßen prototypischen Charakter haben – sie verbinden Modeindustrie und Konsument mit ihren jeweiligen Sehnsüchten, Profit und gutem Aussehen, das Kleidung/Make up/Schmuck etc. verheißt. Die Models sehen uns meist direkt an, sie suchen den Blickkontakt mit dem Betrachter. Sie verkörpern die gezeigte Mode und der Betrachter soll sich mit ihnen identifizieren. Dabei ist dieser Blick in mehrfacher Hinsicht gebrochen. Zunächst einmal schauen die Models den Fotografen an. Aus dem Printmedium sehen sie danach uns an. Wir sehen sie an, sehen aber eigentlich nur das, was der Fotograf gesehen hat. Und nicht einmal das. Wir sehen nur den Ausschnitt, den die Kamera aufgenommen hat.

Die Posen sind unverbindlich. Agnes Lörincz setzt die Models auf unterschiedliche Art und Weise ins Bild. Einmal sind es im wesentlichen zeichnerische Mittel, die mit Schwarz oder Ocker Gesicher und den Ansatz des Körpers beschreiben, dann wird wieder vollflächig mit Farbe Gesicht und Kleidung ausgearbeitet. Immer sind die Modelle angeschnitten, fragmentiert und wirken leicht wie Gespenster, die die Bilder nur heimsuchen, aber nicht wirklich präsent sind. Es sind eher Erinnerungsbilder, die aufscheinen, um dann wieder zu verblassen. Die Hintergründe, auf denen die Malerei geschieht, sind sorgfältig vorbereitet. Zum Teil sind es Collagen mit Papier oder Stoff, Stoffe, die gerne für Heimtextilien Verwendung finden, Tapeten und Ähnliches. So sind die Models gezwungen, sozusagen Heimarbeit bei uns im Wohnzimmer zu leisten. Zu Versatzstücken werden sie, die doch einzigartig zu sein vorgeben.

In einer zweiten Werkreihe werden Fotos, von einem rumänischen Dorffotografen aufgenommen, in den Mittelpunkt gerückt. Natürlich bricht die Malerei auch diese Bilder, die die Existenz von Menschen zu beweisen suchen, von denen wir noch nicht einmal wußten, daß es sie gibt. Früher wurden Zimmerwände einfarbig gestrichen und sodann mit einer Gummirolle ein Muster aufgetragen. Lörincz hat diese Zeugen einer vergangenen Zeit gesammelt und gestaltet damit Bildteile und -hintergründe, die den passenden Rahmen für das Leben der Bilder bilden. Seltsam entrückt stehen die Personen da, ihren Lebenszusammenhängen weitgehend entkleidet, da nur noch spärliche Andeutungen der Umgebung wie etwa Grashalme, ein Podest oder eine Holzwand zu sehen sind. Eine zeitlose Starre hat Menschen und Tiere befallen, die zu Museumsstücken geworden sind. Anders als die Models, die direkt mit unserem Alltagsleben zu tun haben, sind die Bilder des rumänischen Fotografen zwar ebenso Bilder von lebendigen Menschen, jedoch von solchen, die uns mit größter Wahrscheinlichkeit niemals begegnet sind. Lörincz malt die Personen nach den Vorlagen, mit größtmöglicher Geschwindigkeit, die den Akt des Fotografierens nachempfindet. Allerdings wird die Vorlage beim Übertragen in das Medium der Malerei weiter verfremdet – der Malakt bedingt ein individuelles Abweichen vom Foto, das natürlich auch dem Zufall unterworfen ist. Gewissermaßen als Denkmäler ihrer selbst, des Ortes und der Zeit, in der sie gelebt haben, stehen die Personen vor uns und legen doch nur Zeugnis ab für das falsche Versprechen der Fotografie, Realität abzubilden. Eigentlich gelingt eine Rückübertragung in die Wirklichkeit erst durch den individuellen Akt des Malens, der einer eher unpersönlichen Haltung des Fotografen eine eigene Sicht der Dinge entgegensetzt und damit neue Zusammenhänge schafft. Wichtig ist für die Malerin die Wahl der Muster und Stoffe, die sie findet und Teil ihrer Malerei werden läßt. Die haptischen Qualitäten der Stoffe und Papiere bringen Wirklichkeitsfragmente ins Bild, die den direkten Bezug zum Betrachter suchen.

Agnes Lörincz konfrontiert den Betrachter mit verschiedenen Realitäten unserer Welt, die wir als gegeben erachten, u.a. weil sie fotografisch dokumentiert sind. Wir sind gewohnt, Fotografie als Zeuge der Wirklichkeit zu betrachten und vergessen allzu oft, daß gerade Fotos viel eher Zeugnisse einer ausschnitthaften und manipulierten Welt sind. Die Künstlerin holt diese Fotos wieder zurück und transformiert sie in ihre eigene, künstlerische Realität, die dem Bild eine neue Aussage und damit neues Leben einhaucht.

Martin Stather

aus dem Katalog
Agnes Lörincz  Blick-Kontakt, 2008

CLEMENS OTTNAD

Ágnes Lörincz

Die Arbeiten von Ágnes Lörincz sind von Versatzstücken der Werbe- und Medienwelt – samt den von dieser ausgehenden Manipulation des Rollenverständnisses von Frauen und von Männern – geprägt. Einer eigenen wesenhaften – aber auch körperlichen – Identität  jedenfalls vollständig entblößt zeigen die großformatigen Malereien von Ágnes Lörincz dabei häufig nur weibliche Körperfragmente, angeschnittene Torsi: Frauen ohne Unter- oder aber ohne Oberleib. Die so bestenfalls verblümt durchsichtig, in Unter- oder Badewäsche, hüftknapp raschelnden Puschelröcken und lässig angewinkelten Stilettos überlieferten Reste-Frauen sind allerdings in starkfarbige Zeichenteppiche eingewoben, die sich in der Darstellung als zwanghaft mysteriöser Subtext zu verselbständigen drohen. Die flüchtig skizzierten Heldenepen des Glamourösen spielen sich stets inmitten reichhaltiger Mustergründe versunken ab, mit dem Grundmuster visueller Reizimpulse unterlegt, die zugleich Augenlust und Unbehagen einzuflössen wissen.

Die erwähnte Ornamentierung der Darstellungsfläche legt Ágnes Lörincz dabei mithilfe von Gummiwalzen – zur Herstellung des einst als Tapete der Armen bekannten Wandschmuckes – an, mit denen in früheren Zeiten Musterschmuck im Rapport-Verfahren Eingang selbst in sonst nüchtern weiße Innenräume weniger begüterter Haushalte gefunden hatte. Damit treffen in ihren Bildkompositionen nicht nur disparate Versatzstücke verschiedener Epochen und unterschiedlicher Kulturregionen aufeinander, sondern es prallen Motive der Hochglanzerotismen aktueller Modejournalistik unvermittelt auf provinziell kleinbürgerliches Milieu: die Ansprüche zeitgenössisch konsumbasierter Wunscherweckungsstrategien an eine – mehr oder weniger bereits bis zur völligen Lustlosigkeit überbefriedigten – Luxuslibido erliegen mühelos der über Generationen hinweg schon praktizierten kleinkarierten Vermusterung eines ansonsten armselig schmucklos gebliebenen Wohn- und Alltagdaseins. – So kippt die Stimmung unversehens und neue Klischees entstehen: die Sehnsucht steigt nach einem Echtzeit-Räkeln, in weichen Betten, auf knarrend altersschwachen Küchentischen oder aber harten Betonböden, in jedem Falle nach einer anderen Wirklichkeit.

Bei genauer Untersuchung der von Ágnes Lörincz malerisch wie zeichnerisch entwickelten Körpervolumina und der dieselben vermeintlich als nur Hintergrundfolie umfangenden Ornamentfelder fällt jedoch auf, dass sich die beiden Darstellungsebenen gegenseitig sehr wohl durchdringen. Tatsächlich dienen Tapetenmuster, Möbelhausstoffe, Werbebannerreste nicht nur als bloßer Bildfond, sondern sie erscheinen ebenso auch innerhalb der Körperoberflächen selbst, als vermusterte Haut, Stoff oder Leder als eine Art Tätowierung von Bild- und Korperoberfläche. Der Hintergrund spielt sich also unkontrollierbar in den Vordergrund, Zeichenräume unterhalten geheime Korrespondenzen untereinander, das Eigenleben des Nebensächlichen entsteht und wuchert hinein in Wesen und in Dinge. Vielleicht sind ja doch die Figuren und Menschenkörper das eigentliche Beiwerk, nur Schmuckform immergleich sich wiederholender Handlungs- und Verhaltensmuster, der Rapport stets wiederkehrender Gier nach schnellem Geld, Sex, Macht und Ruhm? Und das vorgeblich so unscheinbare und antiquiert wirkende Lineament stellt vielmehr sogar die widerständigste aller Konstanten vor, das dauerhaft Bewahrende nämlich, das über Zeitströmungen hinweg als selbstsinniges Bedeutungsgeflecht – Adolf Loos’ens Ornament und Verbrechen hin oder her – zu überleben weiß?

Durch diesen mehrschichtigen wie mehrsinnigen Einsatz von looping patterns – als sequentiellen Wiederholungen von Mustern, (Produkt)Fetischen sowie dem typisierten menschlichen Körper selbst als Fetisch – weist Ágnes Lörincz dem Ornament buchstäblich konspirativen Charakter und Funktion zu. Während allseitig sexualisierte Benutzeroberflächen der Warenwirtschaft einschlägig bekannte, hormonell ausgerichtete Bildreize wie lüsterne Reizbilder zu erzeugen bestrebt sind, verselbständigen sich die Ornamentordnungen der Künstlerin und deren gegenseitiges Durchdringen von Körpern und von Dingen, von Flächen und von Farben, zu symbolgeladenen Prüfsystemen scheinbar käuflicher Wirklichkeit und multipler Identitäten.

Clemens Ottnad

aus dem Katalog
Agnes Lörincz  Blickfang, 2008

Constanze Musterer

Redetext zur Eröffnung der Ausstellung im Projektraum Alte Feuerwache, Berlin 2015 Kleider machen Bilder – Bilder machen Leute

mit Werken von Agnes Lörincz

Ungewöhnlich erscheint der Titel „Kleider machen Bilder – Bilder machen Leute“, den Agnes Lörincz für ihre Ausstellung wählte. Er verweist lakonisch auf die bekannte Redewendung „Kleider machen Leute“ und scheint einem daher bestens vertraut. Mit einem gewissen Wortwitz und in seinen Wortbildern vertauscht, regt er zum Schmunzeln wie zum Assoziieren an. Er bezieht sich sowohl auf die künstlerische Arbeit von Agnes Lörincz wie auch auf einen allgemeinen Umgang mit Kunst, die zur Sicherung eines Status sehr wohl beitragen kann. Hier könnte zugespitzt noch eine weitere Umkehrung gefolgert werden, dass gewisse Kleider auch Vorgaben für Bilder festlegen, denken wir z.B. an Auftragsarbeiten oder mach gepushte Produktionen für den Kunstmarkt: auch Kleider machen Bilder.

Interessant in dem Titel ist noch eine weitere Lesart: Bilder, die uns täglich umgeben, wie die vielen Werbe- und Medienbilder, beeinflussen Leute in ihrem Schein und Sein, so dass die Grenze zwischen Selbstbild und vermeintlichem Vorbild fließend wird(- Bilder machen Leute) . Und hier schließt sich der Kreis noch einmal zur Kunst von Agnes Lörincz.

Ihre Figuren, oft sind es nur Gesten oder Körperausschnitte, entstammen den Hochglanzmagazinen oder der Werbewelt. Sie sind stereotype Schönheiten, die uns bekannt erscheinen und anziehend wirken, und doch steht auf Distanz und unnahbar bleiben. Durch die Übertragung in die Malerei bilden sie die Folie für kompositorische Experimente für Ornamentik, vor allem aber für die Betrachtungen und die persönlichen Geschichten der Künstlerin.

Zur Malerei klebt Agnes Lörincz Stoffe auf die Leinwand, die sich entweder als Farbfelder im Bild behaupten oder sich symbiotisch mit den malerischen Sujets verbinden. Die Leinwand in ihrer Stofflichkeit behält hierbei ebenso ihre eigene Präsenz. Schichten auf Stoff, Plane, Malerei Malgrund respektive Leinwand formieren sich durch die Künstlerin zu einem gleichberechtigten Nebeneinander, das eine Bildtiefe und damit eine Klassifizierung negiert.

In diesen Kompositionen sind es vor allem die Stoffe, die Erinnerungen und individuelle Assoziationen wecken. Sie stehen konträr, da unverarbeitet, zu den Makellosen Figuren, die in ihrer malerischen Qualität doch den Lifestyle einer auf Medienwirksamkeit gefilterten Welt repräsentieren. Denn die Stoffe sind Relikte der realen Welt, meist einer vergangenen, wenn beispielsweise die Künstlerin geerbte Textilien aus ihrer Heimat Rumänien verarbeitet. Die Zeitlichkeit und die Haptik der Stoffe wirkt auf die Figuren zurück. Jede Zeit unterliegt bekanntermaßen ihren Moden, die trotz der einstigen Aufbereitung für Massenproduktion und Medien in der Rückschau wiederum individuelle Geschichten hervorbringen und die eigenen Erinnerungen prägen.

Eigens für diese Ausstellung hat Agnes Lörincz Bodenarbeiten geschaffen. Der in ihren Bildern bereits inhärenden Begriff der Collage findet hier seine Vervollkommnung, auch wenn die Elemente aufeinander gelegt und nicht geklebt sind. Die subtile Ironie und der unvoreingenommenen Blick der Künstlerin auf vorgegebene Formen und Formalien kulminieren in diesen Arbeiten und erinnern an die illustre Frische der Surrealisten und Dadaisten. Und so könnten auch die korrespondierenden Erweiterungen der Bilder auf die Wandflächen, die Agnes Lörincz mit einem Augenzwinkern installativ ergänzt, verstanden werden. Hier schließt sich dann wieder ein Kreis.  

Constanze Musterer

Claudia Funke 

Zur Ausstellung Agnes Lörincz „Modern Life“ in der Galerie Funke Berlin

Die 1959 in Rumänien geborene und in Berlin lebende Künstlerin, die bereits an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland teilnahm, arbeitet in mehrfacher Hinsicht mit den Mitteln der Collage: Sie überträgt Versatzstücke aus der Bilderwelt der Medien und Werbung, aus Modezeitschriften, Musikmagazinen und Reklametafeln als Zitate in ihre Malerei. Diese gefundenen Motive kombiniert Lörincz mit der materiellen Präsenz von Dekostoffen, Tapetenmustern und Werbefahnen. Gemalte Figuration und abstrakte ornamentale Struktur vereinen sich in einem Bild. Satte, oft leuchtende Farben, die zeichnerische Linie, klare, schnell lesbare Gegenständlichkeit, Aussparungen, die den Bildgrund sichtbar werden lassen gehen eine Verbindung ein mit den Flächen der Stoffmuster, wobei sich Vorder- und Hintergrund, Gemaltes und Bedrucktes kaum voneinander unterscheiden lassen.

Die verführerische Welt des Glamour und die Verheißungen des Konsums, die allgegenwärtigen Versprechungen von Schönheit und Sinnlichkeit, Erfolg und Ruhm werden im Werk der Künstlerin gebrochen durch die Wahl der Ausschnitte und beständige Fragmentierung. Lörincz sampelt die Bildmotive und versetzt sie in einen neuen Kontext. Mit Humor und Leichtigkeit distanziert sie die Inhalte der ursprünglichen Bildaussagen, indem sie diese überzeichnet und als Klischees entlarvt. Im Zusammenspiel mit den ornamentalen Mustern, die altmodisch bieder oder grell an das Design der 1960er und 1970er Jahre erinnern, schafft sie eine aktuelle Visualität des Camp.

Die Verwendung von Punktrastern und Stoffmustern im Werk von Ágnes Lörincz, die Anspielungen auf Konsumgüter und Berühmtheiten – von Claudia Schiffer bis zu Gianna Nannini –  kann als Reminiszenz an die Pop Art und Künstler wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein oder Sigmar Polke und Alex Katz gelesen werden. Lörincz verweist auf ihre Wertschätzung der Kunst von Henri Matisse und Picasso. Wesentlich ist ihr eine kraftvolle, pure Malerei, die mit minimalen Mitteln – wozu auch Leerstellen und Auslassungen zählen – größtmöglicher Schnelligkeit und Lockerheit stoffliche Beschaffenheit darzustellen vermag.

Die Gemälde und Zeichnungen von Lörincz fungieren als Bühne, auf denen die Requisiten und Insignien der Warenwelt neu arrangiert und verhandelt werden. Das Theater des „Modern Life“ wird re-inszeniert. Die Künstlerin erfasst ihre Figuren in Momenten der Bewegung. Allerdings bleibt der Zusammenhang, in dem sie agieren, in der Schwebe – denn es handelt sich um zeichenhafte Szenen und Posen. Lörincz, die künstlerisch ebenfalls im Genre des Films und der Fotografie arbeitet, überführt die Ästhetik des ‚ gefrorenen’ Augenblicks eines Filmstils und der Fotografie in das Medium der Malerei.

Claudia Funke

Nicole Bardohl – Galerie Kunstkomplex, Wuppertal

Agnes Lörincz – Dernier Cri

Agnes Lörincz zitiert in ihren Malereien Ausschnitte aus Mode, Werbung und Nachrichten, die sie, mit Dekostoffen kombiniert, in neuen Kontext stellt. Durch die Gegenständlichkeit scheint man sie schnell erfassen zu können, doch Lörincz kreiert mehr als das Augenscheinliche. In ihren Bildern folgen Verhaltensregeln einem Dresscode, der beeinflusst und manipuliert. Schönheitsideale, Frauen mit perfektem Körper und roten Lippen, stellt die Künstlerin auf eine Ebene mit Portraits von Politikern oder Bildern aus den Nachrichten. Uns wird ein Lifestyle verkauft, eine Botschaft, die in der Politik ebenso wenig Bestand hat wie in der Werbung, eine ästhetische, gut vermarktete Täuschung. Das Prinzip der Täuschung findet man bei Lörincz auch auf anderer Ebene, denn ihre Malereien entpuppen sich auf den zweiten Blick als Collage. Sie integriert Dekostoffe so geschickt, dass die Übergänge zwischen Gemaltem und Geklebten fliesßend, die beiden Ebenen kaum voneinander zu unterscheiden sind. Die Wirkung der Bilder ändert sich, wenn man nah heran geht, wenn man genau hinschaut, so wie die Geschichten, die sie erzählen. In ihren Tapetenbildern werden die Protagonisten eins mit dem Hintergrund, scheinen in der Struktur zu verschwinden und heben sich wiederum doch von ihr ab. Dieses Zusammenspiel von Oberflächlichkeit und Oberfläche ist ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit. Letztendlich thematisiert Agnes Lörincz die Uniformisierung unserer Gesellschaft und entlarvt mit ihrem Werk die schöne Welt der schönen Bilder als grosses Vakuum.

aus dem Katalog

Agnes Lörincz Dernier Cri, 2015